Die meisten von euch werden bereits die ersten beiden Teile dieser Trilogie von Helga Mühlberger über die Erinnerungen an das Tonbandgerät ihres Vaters gelesen haben. Für alle, die erst heute auf diese Zeitreise gestoßen sind, sollen auf den Anfang nicht verzichten müssen.
Auch der Mittelteil soll natürlich nicht fehlen.
Ein Artikel von Helga Mühlberger
Ich besaß nun also ein Radio. Ein altes, an dem mein Vater so lange herumgebastelt hatte, bis es funktionierte. Von da an pendelte ich zwischen musikalischen Parallelwelten. Unten im elterlichen Wohnzimmer immer noch die melodiösen Schlager, die Papa so liebte und oben in meinem Zimmer durfte es schon wilder, lauter und rauer sein. Das entlockte meinem Vater oft verständnisloses Kopfschütteln. Was war nur mit seinem kleinen Mädchen geschehen? Dabei hatte ich dem Schlager gar nicht den Rücken gekehrt, ich hatte nur mein Spektrum erweitert. Für ihn aber sollte ich weiter das kleine Mädchen bleiben.
Ich war ein ganz normaler Teenager, denke ich. Irgendwie ständig gerade frisch verliebt oder an schrecklichem Liebeskummer leidend. Auf dem Tonbandgerät fand sich für solche Situationen immer ein Trostpflaster zum Mitweinen. Und Christian Anders schluchzte so schön, wie sonst keiner.
Es war eine herrlich unbeschwerte Zeit Ich hatte noch das ganze Leben vor mir und tausend Träume. Ich kämpfte darum, ab und zu in die Disco gehen zu dürfen und tanzte dort zur Musik der Beatles, CCR und Rolling Stones genauso wie zu den alten Schlagern, die ich auswendig mitsingen konnte.
Während sich mein Vater so gar nicht damit abfinden konnte, dass ich begann, eigene Wege zu gehen, machte sich mein großer Bruder über mich lustig, weil ich noch immer Schlager hörte. obwohl es so tolle neue Gruppen aus England gab. Er spielte damals in einer Band und niemals hätten sie freiwillig solche Schnulzen gespielt. Allerdings blieb ihnen nichts anderes übrig, denn auf einer Hochzeit zum Tanz aufzuspielen ohne Roy Black – das war unmöglich, da waren Papa und ich uns absolut einig.
Natürlich sah ich mich auch in einem weißen Kleid vor dem Altar stehen – irgendwann einmal. Meistens kommt es aber anders als man denkt und noch ehe ich wirklich den Kinderschuhen entwachsen war, tanzte ich im Hochzeitskleid. Die Musik dazu kam vom Tonbandgerät meines Vaters.
Es war nicht in Straßburg, er hieß Martin nur mit zweitem Vornamen aber wegen ihm ging ich weg aus meiner Heimat, weg von meinen Freunden, von meiner Familie und dachte lange nicht mehr an das Tonbandgerät meines Vaters. In den nächsten fünf Jahren bescherte mir das Schicksal Trauriges, Schönes und Bitteres. Am Ende blieb mir ein Stapel Tonbänder und das Magnetophon. Mit dieser Musik konnte und kann ich jederzeit meine Jugendzeit wachrufen und wieder Papas kleines Mädchen sein.
Irgendwann bei einem Umzug verschwand das alte Gerät und ich konnte die Bänder nicht mehr abspielen aber die Erinnerung an diese Zeit ist immer noch da, wenn ich eine dieser alten Melodien höre.