Tochter zweier populärer Stars in Frankreich und der Stiefmutter Edith Piaf
Passend zum gerade etwas abgeklungenen “ESC-Fieber”, haben wir euch ein besonderes Interview anzubieten. Jacqueline Boyer gewann diesen Wettbewerb 1960 mit dem Chanson “Tom Pillibi” für Frankreich. Es wurde der erste Siegertitel des “Grand Prix de la Chanson” – wie man den ESC zu dieser Zeit in Deutschland nannte – der um die Welt ging. Damals am 29. März war die Sängerin 18 Jahre alt und konnte bereits auf 18 Jahre voller Musik zurückblicken.
Sie ist die Tochter von Lucienne Boyer, eine der bekanntesten französischen Sängerinnen ihrer Zeit. Die hatte bereits eine ausgeprägte Broadway-Karriere aufzuweisen, als ihre Tochter am 23. April 1941 als Eliane Ducos in Paris das Licht der Welt erblickte. Ihr Chanson ” Parlez-moi d’Amour”, den Lucienne Boyer 1930 aufnahm, zählt zu den bekanntesten französischen Liedern aller Zeiten. Auch ihr Vater, der mit bürgerlichem Namen René Ducos hieß, war ein populärer Sänger in Frankreich mit dem Künstlernamen Jacques Pills.
Der Herr Papa verliebte sich in eine andere Frau. Es war Frankreichs “Spatz von Paris”, Edith Piaf, die bekannte Sängerin des Landes. Das Paar heiratete 1952 und Edith Piaf wurde damit die Stiefmutter von Jacqueline Boyer. Kann ein französiches Mädchen musikalischer aufwachsen als mit zwei Weltstars als Mütter?
Jacqueline Boyer hatte unsere kleine Hommage zum 80. Geburtstag von einem Freund aus Deutschland bekommen. Dieser bedankte sich im Namen der Sängerin bei unserer Redaktion. Wir fragten, wie es Mme. Boyer geht und ob sie evtl. bereit wäre, ein Interview mit uns zu führen. Sie sagte ja und wir sind sehr glücklich, euch das Ergebnis jetzt zu präsentieren.
Im Gespräch mit Jacqueline Boyer
Jacqueline Boyer: Es war ein sehr stiller Geburtstag. Dafür hat der Virus gesorgt, der die ganze Welt in Atem hält. In Frankreich hatte zu dieser Zeit jeder zu Hause zu bleiben. Es war aber kein langweiliger Geburtstag, denn ich bekam eine riesige Anzahl an Geburtstgsgrüßen und Telefonaten von lieben Freunden und Kolleginnen und Kollegen.
Jacqueline Boyer: Die Musik ist nach wie vor mein Leben. Doch vom Stil her hat sich vieles verändert. Da gibt sehr viel mit dem ich nichts anfangen kann.
Würden Sie für einen TV-Auftritt noch einmal nach Deutschland kommen?
Jacqueline Boyer: Oh ja, ich bin immer gern dort gewesen und würde mich freuen, nach Deutschland zu kommen. Allerdings nicht, um im TV zu singen. Meine Karriere als Sängerin ist beendet.
Aufgewachsen mit zwei legendären Müttern und einem populären Vater
Sie wären bestimmt auch ein gern gesehener Talk-Gast. Sie haben viel erlebt. Wenn es Ihnen Recht ist, dann würden würden wir gern zurück in Ihre Kindheit gehen. Welche Erinnerungen haben Sie an die gemeinsamen, intimen Momente mit ihrer populären Mutter, deren „Parlez-moi d’amour“ bis heute eines der bekanntesten Chansons Frankreichs ist?
Jacqueline Boyer: „Parlez-moi d’amour“ kennt in Frankreich wirklich jedes Kind. Es ist eines der bekanntesten Lieder überhaupt in meiner Heimat.
Welche Gefühle wecken wir in Ihnen, wenn wir über Ihre Mutter sprechen.
Jacqueline Boyer: Es erfüllt mich immer mit viel Stolz über meine Mutter zu sprechen. Dabei bin ich schon ein wenig überrascht, dass Sie sie kennen und mich auf sie ansprechen. Lucienne Boyer kennen in Deutschland nur wenige. Meine Mutter prägte mich und mein Leben. Sie war ein wunderbarer Mensch mit vielen Talenten, einem großen Herzen und voller Liebe.
Sie haben das wunderschöne Lied ihrer Mutter auch selbst in ihrem Repertoire. Singen Sie auch Chansons von Edith Piaf?
Jacqueline Boyer: Ich singe sowohl “Parlez moi d’Amour” als auch “L’Hymne à L’Amour” von Edith Piaf in meiner Show.
War es die Frau, die ihrer Mutter den Mann weggenommen hat, oder welche Beziehung hatten Sie als Kind zu ihrer Stiefmutter.
Jacqueline Boyer: Ich und auch meine Mutter hatten zu Edith ein sehr gutes Verhältnis. Sie war eine nette Stiefmutter, die mich immer Lulu oder Didite nannte. Das sind lustige Erinnerungen, die mich zum Lachen bringen.
Haben Sie von ihrer Mutter und der Stiefmutter bereits als Kind etwas gelernt, das ihnen für die eigene Karriere genutzt hat?
Jacqueline Boyer: Meine Mutter und Edith haben mir mit auf den Weg gegeben, dass ich mich bei Auftritten nicht verstellen soll, sondern immer ich selbst bleiben soll. An diesen Ratschlag habe ich mich nicht nur auf der Bühne, sondern auch in meinem Privatleben gahalten.
Musikalische Einflüsse gab es sicher auch von Ihrem Vater. Auch er war Musiker.
Jacqueline Boyer: Mein Vater Jacques Pills war ein sehr populärer Musiker von den 30er Jahren bis in die 60er Jahre. Er war nicht nur als Sänger, sondern auch als Komponist gefragt. Zusammen mit Gilbert Becaud schrieb er “Je t’ai dans la Peau” für Edith Piaf. Dieses Lied war der Beginn der gemeinsamen “Love Story” von Edith und Jacques im Jahr 1952.
Würden Sie einen Elternteil als besonderen Förderer Ihrer Karriere bezeichnen?
Jacqueline Boyer: Meine Eltern waren die besten Supporter meines Lebens. Sie waren glücklich, überrascht und begeistert, als ich den Eurovision Song Contest 1960 in London gewonnen habe.
Jacqueline Boyer gewinnt mit 18 Jahren den ESC
Das kann ich mir gut vorstellen, schließlich war ihr Vater selbst 1959 weniger erfolgreich als er für Monaco beim ESC startete. Mit 18 Jahren wurden Sie durch den Sieg beim “Grand Prix” dann selbst zum Weltstar. War „Tom Pillibi“ der erste Hit ihrer Karriere?
Jacqueline Boyer: “Tom Pillibi” war der erste nennenswerte Hit meiner Karriere. Das Lied blieb die Visitenkarte für mein ganzes Leben.
“Tom Pillibi“ gilt als der erste große Hit, den der „Grand Prix de la Chanson“ hervorgebracht hat. Welche Erinnerungen sind geblieben an den 29. März 1960 in London.
Jacqueline Boyer: Dieser Tag verging wie im Rausch. Er blieb der Anfang meines Weges ins Show-Geschäft.
Es waren viele große Musiker vor Ort. Sind Sie Kollegen wie Robert Stolz, Raymond Lefèvre, Rudi Carrel, Siw Malmqvist oder Camillo Felgen im Laufe der Karriere dann noch öfter begegnet? Entstehen sogar so etwas wie Freundschaften bei dieser Veranstaltung?
Jacqueline Boyer: Alle Namen, die Sie aufgezählt haben, sind mir nach wie vor vertraut. Immer wieder sind wir uns in unterschiedlichen Shows begegnet. Es war schön, dass wir diese gemeinsame Erinnerung an London hatten.
Der Erfolg von „Tom Pillibi“ ermöglichte es Ihnen die Welt zu bereisen. Besonders in den Vereinigten Staaten waren sie in vielen spektakulären Shows zu Gast. Gibt es unvergessene Momente aus dieser Zeit?
Jacqueline Boyer: Ich war 18 Jahre und reiste nach dem Erfolg beim ESC zusammen mit Gilbert Becaud zu meinem ersten Auftritt nach New York. Dort waren wir Gäste in einer Show, in der auch Pat Boone auftrat. Das waren wundervolle Momente mit beiden Künstlern.
Erinnerungen an die Erfolge in Deutschland
Sie haben „Tom Pillibi“ auch umgehend auf Deutsch aufgenommen. Hatten Sie sofort ein gute Verhältnis zu den deutschen Radio- und Fernsehshows?
Jacqueline Boyer: Während meiner langen Karriere habe ich unvergessene Begegnungen in TV-Show und auch Radio-Shows gehabt. Die Menschen waren immer und überall besonders freundlich zu mir.
Haben Sie Christian Bruhn in dieser Zeit kennengelernt oder wie sind Sie zu „Mitsou“ gekommen?
Jacqueline Boyer: Sie haben Recht. In Deutschland war immer “Mitsou” neben “Tom Pillibi”. Ich selbst habe mit dem von Heinz Gietz geschriebenem Lied “Liebeslied für eine Rose” einen weiteren Favoriten. Es ist ein wirklich wunderschöner Song.
Sie waren bis in die 70er Jahre ein häufiger und gern gesehener Gast in deutschen Shows. Im Januar 1969 haben sie auch deutsche Fernsehgeschichte erlebt. Sie waren Gast in der ersten Ausgabe der ZDF-Hitparade. Haben Sie noch Erinnerungen an diesen Abend?
Jacqueline Boyer: Konkrete Erinnerungen an diesen Abend weniger. Bestimmt, wenn ich die Show sehen würde. Es waren so viele. Erinnerungen an Dieter Thomas Heck und seine liebenswerte Frau habe ich natürlich. Er ist wirklich ein Freund geworden.
Erinnern Sie sich noch an ihren letzten Besuch in Deutschland?
Jacqueline Boyer: Sehr gut, denn es war ein verregneter Tag. Ich war im August 2016 im “Fernsehgarten” und habe dort natürlich noch einmal “Mitsou” gesungen. Jetzt ist es vorbei, nach 60 Jahren Reisen und Singen auf der ganzen Welt habe ich schöne und wundervolle Souvenirs gesammelt. Nun nutze ich die Zeit zum Ausruhen und möchte mich umschauen, was auf der Welt geschieht.
Vielen Dank, liebe Jacqueline Boyer, dass Sie sich die Zeit für uns genommen haben. Es war ein großes Erlebnis für uns mit ihnen zu schreiben. Nun hoffen wir, dass es vielleicht doch die eine oder andere Talk-Show geben wird, die auf Sie aufmerksam wird und mit ihnen ausführlich über ihre Eltern und ein Stück französische Musikgeschichte sprechen wird.