Bosse – Ich liebe dich so

Wer sich oft und gern an seine Träume erinnert, der weiß: Schlaf, das ist der Ausflug zu den Heilquellen der Seele. Was dort an Bildern, Eindrücken und Geschichten durch die Synapsen rauscht, öffnet die Welt intuitiver Erkenntnis und endlich unzensiertgefühlter Gefühle. Eine Bewusstseinserweiterung in der Bewusstlosigkeit.

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https://youtu.be/eBs6K6kkj0U?si=DaZGbe36sASHiYpq


Genau diese bietet auch das neunte Album von BOSSE, auf dem im „Icecream Universum“ die Satelliten um den Stracciatella-Mond fliegen, der Mensch im „Salzwasser“ mit dem weißen Hai schwimmt und ihn in seinem „Fiebertraum“ die Ungeheuer durch Schluchten jagen, in denen der Nordwind weht. Luft, Wasser, Erde. Ein Album quer durch die Elemente, die Gemütszustände, all die verdrängten Gefühle, die in den Träumen hochkommen und neue Tage prägen. Tage der Befreiung, der Abschiede, derNeuanfänge und der gnadenlosen Ehrlichkeit mit dem eigenen, zu lange ignorierten Herzen.

Denn wenn er wach ist, der Mensch, von dem diese Lieder erzählen, dieser verletzte, sensible und längst noch nicht fertige Charakter, in dem man sich erkennt, obwohl man es oft nicht möchte, dann fallen sie wieder: Zeitlose Zeilen, die sich in Stein meißeln lassen. „Wenn außer Rotz und Wasser heute gar nichts lief“, bittet dort eine Seele, die, zugleich abweisend und Nähe suchend, auf der Borderline balanciert, „wenn ich wieder das Rennen mit der Dunkelheit verlier… bleib bei mir.“ Und nie hat jemand den Unterschied zwischen chronologischer und seelischer Zeit jemals besser definiert als durch die Worte: „Es ist immer erst Vergangenheit, wenn‘s nicht mehr wehtut.“ In Stein meißeln? Diesen Vers muss man in Kupfer stechen!
Abseits der Traumbilder und Metaphern fasst Bosse die Alltagswelt in Bilder, die so seltsam scharf aufblitzen wie die Farben und Konturen in Filmen von David Lynch und doch so vertraut sind wie unser aller Dasein. Ein Mensch, der als „All Time Favorite“ seine Spuren im Leben hinterlässt? „Ich bleibe Ultra-Fan in deiner Kurve.“ Das körperliche Gefühl bei einem „Fiebertraum“ im gleichnamigen Song? „Pure Lava auf Teflon-Stirn.“ Die Fürsorge des geliebten Menschen in so einer Situation? „Ich such’ dir IBU 600.“ Womit auch dieser heimliche Helfer endlich mal in einem Song der deutschen Popgeschichte verewigt ist.

Die Grenzenlosigkeit dieses Albums, das der Sprache und den Gefühlen alles erlaubt, schlägt sich auch in der Musik nieder. Selten zuvor hat Bosse so grazil, schwebend und tanzbar zugleich geklungen. Man sieht den Stil vor sich, in dem Menschen zu „Ein Traum“ tanzen. Die Arme greifen den Wolken in den watteweichen Bauch, während der Kopf zwischen den Schultern hin und her schwingt, ein ungläubiges Lachen im Gesicht. Schaut Alligatoah vorbei, blubbert statt Cloud- ein wenig Ozean-Rap im „Salzwasser“, die Autorin Düzen Tekkal legt literarische Gedanken über das Klangbett für den „Tagtraum“ und mit LEA inszeniert Bosse in „Nur noch ein Lied“ eine Ballade über den letzten Lebensmoment, die einem das Wasser in die Augen treibt.
Wer neben dem Bewusstsein die Menge an musikalischem Zustrom erweitern möchte, greift zum Deluxe Digipack, auf dem neben vier Akustikfassungen der neuen Songs und vier Live-Klassikern der Jubiläumstour zu „Kraniche“ vor allem deutlich wird, welches Lied in Bosses Herzen den Kern des neuen Werkesbildet – „Ein Traum“ findet sich vom Münchener Kneipenchor ebenso gesungen wie bereits sturmerprobt auf dem Hurricane. An Schlaf ist nach dem Durchhören allerdings kaum zu denken, denn diesen dichten Trip aus Noten und Worten, den will man gleich noch mal.

Oliver Uschmann

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