Bosse – All-Time-Favourite

Wer altmodisch vorgeht, um seine Wertschätzung für einen Menschen auszudrücken, kennt die Situation. Du hockst vor der Holzkiste mit den gesammelten Postkarten, die alle noch beschriftet werden können und blätterst durch die Motive. Süße Katze? Sicher, aber das Internet ist voll davon. Pergament-Optik mit japanischen Schriftzeichen? Edel, aber du weißt nicht, wofür sie stehen. Ein Engel von Paul Klee? Schon besser, aber auch angeberisch. Es geht hier nicht um dich, es geht um dein Gegenüber. Diesen einen Menschen, der dir alles bedeutet, der dein Leben begleitet hat, dem du das sagen willst. Es geht um deinen All-Time-Favourite.

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https://youtu.be/bwdCZSLHmfY?si=eAdpiuHAl1MOOBUM


Bosse hat die Karte gefunden und mit den schönsten Worten beschriftet, die sich auf den knappen Raum schreiben lassen. Keine pathetischen Behauptungen, sondern Szenen, Bilder, Storytelling. „Wir hören Leaving on a Jet Plane“, steigt der Song ein, „Vier Uhr morgens, konnte eh nicht pennen / Dein Taxi vor der Haustür / Oh meine Augen brennen / Letzter Koffer im Hausflur / Pass auf dich auf, ok, mach’s gut.“ Zack! Sofort ist alles da. Ein Stückchen Leben, wie wir es alle schon mal kennengelernt haben. Die Augen brennen mit beim Hören und man spürt die feuchte Morgenluft, die selbst im Sommer klamm nach den Beinen greift. „Halt mich noch mal fest und dann geh.“ Abschied nehmen, schon jetzt vermissen, allein wieder die Stufen hinaufklettern. Niemand sonst erzählt so im deutschprachigen Pop.

Die Geschichte dieser Zuneigung, in der „ein Hochhausplakat von dir“ im Herzen des Erzählers hängt, hätte Bosse als langsame Pianoballade erzählen können. Oder als Revival des knalligen Emo-Drama-Rocks der alten Tage von „Guten Morgen, Spinner“. Stattdessen startet die zweite Single aus „Übers Träumen“ ohne Umschweife direkt hinein in ihren tanzbaren Takt. Als hätte der Beat schon ewig gespielt und der Sänger stößt halt jetzt dazu. Der Refrain schließlich beamt uns aus dem Club oder dem Festivalzelt, in dem alle glücklich hüpfen, mitten hinein in eine Indie-Rock-Garage, wo schrammelige Gitarren und ein schmutziges Schlagzeug die griffige Hookline so vor sich hertreiben, als hätten sich Wanda und Circa Waves als Backingband hinter den Sänger geschlichen.

Ist alles vorbei, spielt man’s noch mal, um nachzuprüfen, ob da wirklich zwischendrin ein Satz gefallen ist, der beschreibt, dass die Zeit seelisch anders vergeht als auf dem Kalender. „Und es ist immer erst Vergangenheit / Wenn‘s nicht mehr wehtut.“ Da steht er. Auf der Karte. Und das ist dermaßen genial, dass egal ist, ob vorne die Katze, die Schriftzeichen oder der Engel von Paul Klee zu sehen sind.

Credit: Oliver Uschmann

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