Heinz Rudolf Kunze – Dann fängt die Liebe an

„Manchmal ist Pop auch okay.“
Angebot und Nachfrage – das neue Album von Heinz Rudolf Kunze
Wortgewaltig, rockig, wütend, melancholisch. Eigentlich, wie man ihn kennt – und doch ist einiges anders. Oder besser: direkter.

Für den Kulturphilosophen Bazon Brock steht Alter für Vollendung, Meisterschaft, Gelingen und Scheitern. Probleme seien immer lösbar, sagte er einmal. Das einzig Unlösbare sei der Tod. Es könnte eine treffende Beschreibung von Heinz Rudolf Kunzes neuem Album „Angebot und Nachfrage“ sein.

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https://youtu.be/Y3uiTF6wTwc?feature=shared

Sein inzwischen 47. Werk ist ein meisterliches, abgehangenes Spätwerk über die großen Themen des Lebens. Seine Fans werden ihn dafür feiern. Alle anderen sollten unbedingt sein Angebot annehmen – genug Nachfrage nach seinen Geschichten besteht. Irgendwie sind es nach über vierzig Jahren im Geschäft immer noch die gleichen Themen, worüber sich nicht nur Heinz Rudolf Kunze manchmal wundert. Wie viele seiner Generation stellt er sich auf dem Album mehr denn je die Frage, was wir hinterlassen, wenn wir gehen. Sechzehn Songs über Herkunft, Heimat, Zugehörigkeit und Identität. Kunze deutet auf die Probleme der Welt und den Irrsinn deutscher Innenpolitik. Es beschäftigt ihn viel in diesen Zeiten: die näherkommenden Kriege mit ihrer unendlichen Todesspirale und die Unfähigkeit der Menschheit, sich daraus zu befreien. Aber Resignieren war noch nie eine Eigenschaft des Rockpoeten.

Wie immer bleibt er auf „Angebot und Nachfrage“ auch ein Kämpfer für die Liebe. Bei aller Schwere der Themen blitzt sie immer wieder auf – wie ein leuchtender Hoffnungsstern, den er von allen Seiten betrachtet. Mal altersgemäß ironisch-distanziert, mal weniger ernsthaft wie ein ewig Junggebliebener.

„Angebot und Nachfrage“ sei wie eine Trilogie, ein Konglomerat aus den beiden Vorgängern „Der Wahrheit die Ehre“ und „Können vor Lachen“.
Es kommt ganz schön geballt, was uns Heinz Rudolf Kunze da anbietet. Aber keines der Lieder hinterlässt uns ratlos. Es gibt am Ende immer eine Lösung – sei es Liebe, Freundlichkeit oder die Suche nach Gemeinsamkeiten. Dass es damit mitunter leichter und gelassener durchs Leben geht, ist vielleicht auch eine Meisterschaft des Alters.

Verpackt sind Kunzes Geschichten in einen durchgängig klar strukturierten und nie zu dichten Sound, der stark an frühere Alben erinnert. Dafür gesorgt hat erneut Produzent Udo Rinklin. Es ist bereits die dritte Zusammenarbeit der beiden. Herausgekommen ist eine Frischzellenkur, die Sänger und Band gut steht.

Alle sechzehn Songs des Albums leben vom Bandfeeling. Mehr denn je hat man den Eindruck, da spielt eine homogene, gewachsene Einheit zusammen. „Ich habe jetzt seit ein paar Jahren eine Band, die alles schlägt. Menschlich – vor allem in der Harmonie untereinander. Wie wir uns gegenseitig helfen und wie alle mitziehen, wie alle begeistert sind, alles geben. Es ist ein Hochgenuss, mit denen zu arbeiten. Ich habe mich noch nie in meiner langen Laufbahn auf der Bühne so wohlgefühlt wie seit fünf, sechs Jahren.“ All das überträgt sich hörbar auf die Studioarbeit und findet sich auf „Angebot und Nachfrage“ wieder.

Schon der Opener baut eine Brücke von Kunzes frühen Jahren ins Jetzt. „Besuch mich Marie“ schaut zurück auf das, was geworden wäre, wenn es geklappt hätte mit der großen Liebe. Dieser Song könnte die Fortsetzung von „Dein ist mein ganzes Herz“ sein – nur im gelasseneren Rückblick. (Ein sehr modernes und reduziertes Remake des Hits aus 1985 im Duett mit Annett Louisan ist übrigens als Bonustrack auf dem Album zu hören.)
Realistischer schildert der zweite Song „Dann fängt die Liebe an“ die Vorzüge einer abgehangenen Liebe, wo man sich gegenseitig die Kohlen aus dem Feuer holt und immer noch füreinander brennt. Auch „Das was niemals war“ als Nummer drei feiert die Liebe. Noch lehnen wir uns entspannt zurück. Schöne Bilder – wie ein Vorspann für das, was kommt.

Dann packt Heinz Rudolf Kunze zum ersten Mal die Keule aus. „Die Angst geht um“ ist der Einstieg in die politischen Stücke der Platte (und davon gibt es einige). Nah am Heavy Metal gebaut, will die Nummer wachrütteln und zeigt gleichzeitig die Vielseitigkeit der Produktion. Bass und Schlagzeug treiben schwere Gitarren an, der Song steigert sich mit jedem Takt immer weiter in das Gefühl hinein. Die Angst im Nacken wird spürbar. Kunze malt darauf ein Sittengemälde der Stimmung im Land. So direkt hat man ihn selten gehört. Radikal sagt er, was ist: Wir wissen eigentlich alle, wie es um uns steht, aber die wahren Probleme werden dennoch nie angesprochen. So überlassen wir unser Schicksal ohnmächtig „Hexenjägern“ und „Totargumenteschlägern“ – Letzteres ist eines der vielen gelungenen Wortspiele auf dem Album. „Angst ist dumm“, singt HRK – und schon im Song gibt es die Lösung wider des Duckmäusertums: Ehrlichkeit, mehr Freiheit wagen.

„Wer mit 20 Jahren kein Kommunist ist, hat kein Herz – wer es mit 40 noch ist, hat keinen Verstand“, wurde einst Churchill in den Mund gelegt. Viele Kinder der Nachkriegsgeneration kennen diesen Satz von ihren Eltern. Er klingt bis heute nach. Und so ist der nächste Song „Du musst Dich irren“, neben einer ironischen Schilderung der Bequemlichkeit, auch eine Aufforderung, sich vielleicht öfter mal zu hinterfragen, um seine Meinung zu justieren.

Als Texter gehört Heinz Rudolf Kunze zu den größten der Gegenwart. Auf „Angebot und Nachfrage“ zeigt sich das ganz besonders auf dem wunderschönen Track „Einen anderen Menschen lieben“. In der Tradition großer deutscher Dichtkunst sinniert er über die Liebe. Verpackt in eine tolle Ballade, die am Ende groß aufgeht, finden wir hier Kunzes Lieblingszeile auf dem Album: „Es ist wie in der Luft nach Gold zu sieben, am Ende ist das Sieb voll Sonnenlicht.“ Solche Worte fließen mitunter einfach aus ihm heraus. „Das ist so ein Moment, da lehnst du dich zurück und denkst: Wo kommt das jetzt her? Wer hat mir das gerade geschenkt?“

Der Titel „Angebot und Nachfrage“ bringt dem Hannoveraner seine Definition von Kunst auf den Punkt: „Ich mache ein Angebot, das eine tiefere Nachfrage enthält. Mehr kann Kunst nicht tun.“

„Angebot und Nachfrage“ ist wie eine Reise. Heinz Rudolf Kunze nimmt uns mit in sein Inneres, und wir sehen dabei so viel von uns selbst. „Ich bin tot“ ist eine von zwei Nummern, auf denen er sich mit der eigenen Vergänglichkeit beschäftigt – hier in bester Wiener Kaffeehaus-Tradition dargeboten. Schwarz und morbid fragt er, was bleibt, und stellt fest: Am Ende nicht viel. Denn auch im Tod sind die Mitmenschen noch verlogen, und man bleibt allein. Mit „Wozu hat man Kinder“ schließt sich am Ende des Albums der Kreis. Überhaupt überzeugt die Zusammenstellung der Songs: Nach den eher nachdenklichen Themen folgt immer eine positive Auflockerung – das macht das Album gut durchhörbar. So auch hier: Nach dem Tod wird in „Ich will mehr von dir“ noch einmal die Liebe gefeiert, bevor „Angebot und Nachfrage“ seinem Höhepunkt entgegensteuert.

Jetzt wird Heinz Rudolf Kunze sehr persönlich und erzählt von sich. „Irgendwo“ ist eine Geschichte über Heimat, seine Auseinandersetzung mit der eigenen Herkunft. Auch das gab es in vierzig Jahren schon öfter – man denke nur an „Ich bin auch ein Vertriebener“ – doch hier erzählt er sie so emotional und persönlich wie nie. Aus Guben in Oberschlesien kamen seine Eltern ins Flüchtlingslager Espelkamp, wo er 1955 geboren wurde. Seitdem ist er oft verpflanzt und herumgezogen worden. Er sei ein Heimatloser, der aber in der deutschen Sprache seine Heimat gefunden habe: „Ich bin zuhaus in dieser Sprache, die nach geschundenen Träumen klingt und die doch unzerstörbar Reste von Hoffnung hat, wenn man sie singt.“

Musikalisch gehört die Nummer zu den stärksten auf dem Album. Eine schwere, getragene, wunderbar lange Ballade, auf der Kunze so gut singt wie nie. Solche Rocksongs sind selten geworden heute. Er nimmt sich Zeit für die Geschichte, Text und Sound zerfließen zu einer Einheit. Und am Ende brilliert im langen Outro eine exzessive Hammond-Orgel. Ein Hoch auf die Produktion – sehr angenehm, das mal wieder zu hören in der Welt der konstruierten Kurz-Hits!

Immer wieder betont Heinz Rudolf Kunze, wie sehr ihm die Arbeit an „Angebot und Nachfrage“ Spaß gemacht hat. Das hört man jedem einzelnen Song an. Sie hinterlassen immer ein gutes Gefühl – langweilig wird das Album trotz seiner Länge nie.

Ob des „Überangebots“ wollte Kunze schon freiwillig kürzen. Zum Glück konnte er sich nicht entscheiden – und so blieben eben alle Songs auf der Platte. Weniger hätten auch nicht gereicht für das, was er zu sagen hat. Sonst wären uns vielleicht Lieder wie „Jeder Tote, einer zu viel“ entgangen. Große Philosophie, denn niemand wird bestreiten, dass dem so ist. Doch wenn es dann in der Strophe heißt: „Wer um sein Leben kämpft, hat immer Recht“, wird man doch etwas nachdenklicher. Was ist noch moralisch im Krieg? Fühlten wir uns in Europa lange auf einer Insel des Friedens, kommen die Geister des Krieges heute immer näher und pochen an unsere Tür. Statt weiter abzurüsten, bewaffnen wir uns wieder. Der Kreislauf hat von Neuem begonnen – und es scheint, als taumle die Welt so langsam ihrem Ende entgegen. Jegliche Bemühungen der Menschheit, in Frieden zu leben, sind gescheitert. Offenbar gehören Krieg und Frieden zusammen wie Ying und Yang.

Heinz Rudolf Kunze denkt lange nach zwischen den Worten, als er die Frage beantwortet:
„Ich fürchte auch, dass der Mensch ohne Krieg nicht denkbar ist. ‚Der Krieg ist das Salz der Erde‘ – ich weiß nicht, welcher Philosoph das gesagt hat, ich glaube, ein antiker. Der Mensch ist eben ein gespaltenes Wesen. Er ist auf keinen Fall nur gut, wie Jean-Jacques Rousseau behauptet, und er ist auf keinen Fall nur schlecht, wie Josef Stalin gedacht hat. Dazwischen liegt irgendwo die Wahrheit.“ „Jeder Tote, einer zu viel“ erzählt nicht vom naiven Hippietraum ewigen Friedens, kommt aber auch nicht pessimistisch daher, sondern präsentiert uns eine mögliche Lösung: Nächstenliebe.

Die wäre auch im Umgang mit Geflüchteten angebracht. Doch wenn man auf die aktuelle Politik schaut, scheint das Gegenteil der Fall. Klar, dass Heinz Rudolf Kunze auch darauf nicht stillhalten kann. „Sie sind Migranten“ klingt wie fröhlicher Britpop – was die Nummer gerade stark macht. „Die Gründe panisch wegzulaufen rücken immer näher“, singt er – und hält auch uns den Spiegel vor.

Seit Gründung der Republik haben hier Geborene so ihre Probleme mit Zugezogenen. Auch Vertriebene, Aussiedler und Gastarbeiter bekamen das in den frühen Jahren der Republik zu spüren. Heinz Rudolf Kunze kennt das aus eigener Erfahrung und findet wahrscheinlich auch deshalb so empathische Bilder. Parallelen mag er dennoch nicht ziehen:
„Das ist natürlich schwer zu vergleichen, weil die Menschen, die heute zu uns kommen, ja nicht aus dem gleichen Kulturkreis stammen wie damals. Wir sprachen Deutsch, hatten die gleiche Schulbildung, die gleiche Religion. Wenn heute arabische, afrikanische, asiatische Menschen kommen, ist der Unterschied doch fundamental viel größer. Es bräuchte auf beiden Seiten eine viel größere Bereitschaft, aufeinander zuzugehen – nicht nur von den Deutschen, sondern oft auch von den Fremden.“

Auffällig bei „Angebot und Nachfrage“ ist Kunzes Beschäftigung mit Gott. Exemplarisch steht dafür der Song „Was bin ich eigentlich wert“. Sie sei ein Dialog mit Bob Dylan, sagt er: „Ein Song, den man als alter Mensch singen kann (grinst). Das ist natürlich auch, wenn du so willst, eine Antwort auf Bob, der das Lied ja gemacht hat auf dem ‚Oh Mercy‘-Album, ‚What Good Am I?‘ Ich mache das oft – ich antworte oft auf Bob, auch wenn er mich gar nicht gefragt hat.“ Eingängig und schlicht klingt der Song – und konzentriert sich ganz auf die Fragen, die sich jeder Mensch irgendwann einmal stellen sollte. Wenn man mal vor dem Himmelstor steht, braucht es Antworten. Kunze hat die Sehnsucht, dass es existiert – und möchte mit sich im Reinen sein, falls an dem Glauben etwas dran sein sollte: „Ich möchte schon gern in den Himmel kommen, ehrlich gesagt.“

Aber wie denkt Heinz Rudolf Kunze denn jetzt über die aktuelle Entwicklung in unserem Land? Er, der sich seit Anfang seiner Karriere immer eingemischt, Unterhaltung stets mit Haltung verbunden hat und von „Band für Afrika“ bis „Rock gegen rechte Gewalt“ überall dabei war. Zusammen mit anderen hat er eine ganze Generation geprägt. Die Antwort gibt der Song „Wir sind wir“ – ein Bekenntnis zu Deutschland: „Noch gibt es viel zu loben, aber der Zustand, in dem wir leben, ist fragil. Demokratie ist eben – anders als wir jahrzehntelang gedacht haben – keine Selbstverständlichkeit. Sie muss immer wieder mit Leben erfüllt werden. Sonst kann sie uns auch abhandenkommen. Und es kann eines Tages, wenn wir nicht aufpassen, zu einer demokratisch gewählten rechtspopulistischen Regierung kommen, bei der wir hinterher nicht sagen können, wir hätten es nicht gewusst. Das ist eine Bedrohung von Ausmaßen, die wir noch gar nicht erkennen können. Ich weiß, dass jede Generation, wenn sie älter wird, zur Schwarzmalerei, zum Pessimismus und zum Nörgeln neigt – und oftmals hat es sich als unbegründet herausgestellt, und dann kam doch etwas Gutes. Aber ich fürchte: Wir haben recht. Es gibt so viele Probleme, bei denen ich keinerlei Lösung sehe, bei denen ich nur eine Tendenz zur Verschlimmerung sehe. Ich kann nur hoffen und beten, dass meine Kinder und Enkelchen auf Ideen kommen, die wir nicht hatten.“

Mit „Angebot und Nachfrage“ legt Heinz Rudolf Kunze eine treffende Beschreibung des Ist-Zustandes vor. Manchmal ist es sein eigener, manchmal unserer – aber immer auch eine präzise Beobachtung der Verhältnisse, in denen wir heute leben. Musikalisch voll auf der Höhe und mit einigen Songperlen gespickt, zeigt es einen spielfreudigen, nachdenklichen, aber auch wütenden Heinz Rudolf Kunze.

Dieses Album wird in einigen Jahren ein wertvolles Zeitdokument sein.
Kunzes Angebot an Deutschland ist da – und genug Nachfrage besteht. Er selbst hat schon wieder neue Pläne: „Für mich ist dieses Album der Höhepunkt meiner Zusammenarbeit mit Udo. Aber jetzt müssten wir mal was anderes machen. Vielleicht wie Neil Young in eine Scheune gehen und alles live aufnehmen. Da gibt es noch einige Möglichkeiten. Aber ich bin sehr zufrieden mit dem, was uns hier gelungen ist. Es ist eine wunderschöne Platte.“

Von Arno Köster

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